Die zweite Welle der digitalen Transformation rollt bereits
In Heft 6/23 des Fachmagazins STAHLREPORT beantwortet Valentin Kaltenbach, CEO der KALTENBACH.SOLUTIONS, Fragen der Chefredaktion zum Fortschreiten der Digitalisierung im Stahlhandel. Der STAHLREPORT wird vom Bundesverband Deutscher Stahlhandel herausgegeben und ist die führende Zeitschrift für die Stahldistribution. Seit 75 Jahren informiert das Magazin über aktuelles Marktgeschehen rund um Stahlhandel, Stahlproduktion und Stahlverarbeitung.
BI-Lösungen verbinden Maschinendaten mit Unternehmensdaten
In den zurückliegenden zehn Jahren lag der Fokus der Ditigalisierung im Stahlhandel auf einer Transformation der Beziehungen zwischen den Unternehmen, den Lieferanten und den Kunden. Es entstanden digitale Marktplätze und Shopsysteme für den Online-Einkauf, EDI-Lösungen beschleunigten den Datenaustausch und Logistiksoftware optimierte den Transport der Waren. Händler wie Kunden haben sich inzwischen an die neuen Formen der Kommunikation gewöhnt, überwiegend positive Erfahrungen gemacht und wertvolle Erkenntnisse gewonnen. Zeitgleich wuchs eine gewaltige Datenmenge heran, die noch auf ihre Nutzung wartet. Die Sammlung von Fakten und Zahlen, die im Rahmen der ersten Digitalisierungswelle entstand, kann dem Stahlhandel als präzise Grundlage für schnellere und bessere Entscheidungen zugänglich gemacht werden. Hier kommt das Thema digitale Geschäftsanalytik oder Business Intelligence ins Spiel. Geeignete Business Intelligence Lösungen liefern dem Management umfassende Informationen auf einen Blick und machen es möglich, vorausschauender als bisher zu planen.
Stahlreport: Die Kaltenbach.Solutions GmbH unterstützt seit rund fünf Jahren mit ihren Lösungen den lagerhaltenden Stahlhandel bei der digitalen Transformation. Im Rahmen der Hannovermesse 2023 haben Sie mit dem Produkt „BoosterBI“ ein weiteres Modul der Branchenlösung „steelsuite“ vorgestellt. Was ist das Ziel dieses Moduls?
Valentin Kaltenbach: Mit Hilfe unserer „BoosterBOXen“ sammeln wir seit Jahren objektive Maschinendaten aus Anarbeitung und Intralogistik und aggregieren diese zu präzisen Informationen. Hierzu zählen sowohl effizienzrelevante als auch energierelevante Daten. Damit können wir das Verhalten von Maschinen, Krananlagen und Lagersystemen sowie deren Umfelder transparent abbilden. Das neue Modul „BoosterBI“ stellt eine Business Intelligence-Lösung dar, mit deren Hilfe die Lücke zwischen der reinen Maschinensicht einerseits und der ERP-Sicht andererseits geschlossen wird. Wir verbinden jetzt die kaufmännische Sicht mit der Maschinensicht und schaffen so wertvolle Erkenntnisse, um das Treffen von Entscheidungen zu ermöglichen, die auf Fakten statt Vermutungen basieren.
Stahlreport: Werden Instrumente der BI im Stahlhandel aus Ihrer Sicht bisher ausreichend genutzt?
Valentin Kaltenbach: Die Disziplin Business Intelligence ist in vielen Unternehmen im Bereich Finanzen & Controlling angesiedelt. Aufgrund der historisch gewachsenen Zuordnung stehen hier reine Finanzzahlen aus Vertrieb und Lagerlogistik im Vordergrund. Weder die Anarbeitung noch die Intralogistik werden hier berücksichtigt, obwohl sie inzwischen einen signifikanten Kostenblock darstellen. Oft fehlen auch objektive Messdaten aus diesen Bereichen als Basis für eine solide BI-Betrachtung. Hier liegt ein großes Erkenntnispotential für den Stahlhandel.
Stahlreport: Wozu braucht es denn Business Intelligence auf Basis objektiver Messdaten aus der Anarbeitung und der Intralogistik? Wieso sind die reinen ERP-Daten nicht schon ausreichend?
Valentin Kaltenbach: ERP-Daten, insbesondere Plandaten, basieren zu einem großen Teil auf ungeprüften Annahmen und Heuristiken. In der Anarbeitung bilden sie die erwartete Auslastung von Aggregaten aus Sicht der Werker im Betrieb ab. In vielen Fällen meldet das ERP-basierte Planungstool Vollauslastung. Gleichzeitig messen unsere BoosterBOXen aber eine tasächliche Maschinenauslastung im Bereich von 20 bis 50%. Diese signifikante Diskrepanz lässt sich durch das Zusammenführen von Maschinendaten und ERP-Daten umfassend analysieren, um anschließend die richtigen strategischen Entscheidungen zu treffen.
Stahlreport: Was sind die Ursachen für derart große Abweichungen?
Valentin Kaltenbach: Der Output einer Maschine ist im Wesentlichen abhängig von der Organisation und den Prozessen in Anarbeitung und Intralogistik. Aufgrund fehlender objektiver Maschinendaten wurden in der Vergangenheit bei Erreichen einer subjektiv wahrgenommenen Vollauslastung fast reflexartig weitere Maschinen beschafft. Damit war das Problem scheinbar gelöst. Das Ergebnis dieser Vorgehensweise sind Überkapazitäten in der maschinellen Ausstattung, die heute zu hohen Fixkosten führen und wertvolle Lagerflächen blockieren. Häufig begegnet mir auch die Vorstellung, dass Anarbeitung sowieso kein Geld bringt und man nimmt diesen Zustand einfach hin, anstatt ihn aktiv zu verändern. Der Abbau von Überkapazitäten einerseits und das Steigern von Effizienzen an den verbleibenden Aggregaten andererseits ist aus meiner Sicht die nachhaltige Lösung. Ein Geldverlust durch Anarbeitung muss nicht sein.
Stahlreport: Wie kann die BI Lösung von Kaltenbach.Solutions den Stahlhandel hier konkret unterstützen?
Valentin Kaltenbach: Dazu gibt es unterschiedliche Ansatzpunkte. Zum Beispiel können durch das Zusammenführen von Maschinen- und ERP-Daten spezifische Prozess- und Rüstzeitkataloge erstellt werden. Diese dienen dann als belastbare Basis für eine realistische, maschinenorientierte Kapazitätsplanung. Darüber hinaus lässt sich das Zusammenspiel von Auftrag und Maschine transparent darstellen. Dann wird klar ersichtlich: Wo verdienen wir Geld, wo legen wir drauf? Im Bereich der Lagerlogistik erzeugt die BI-Lösung beispielsweise Heatmaps – also Bilder oder Karten, die gemessene Werte nach Größe farblich darstellen. Auf ihrer Basis kann man alternative Lagerkonzepte erarbeiten und simulieren.
Stahlreport: Wie lange dauert es in der Regel von der Einführung bis zur produktiven Nutzung der Tools von Kaltenbach.Solutions wie z.B. der „BoosterBI“?
Valentin Kaltenbach: Unser Ziel ist es die wertvolle Zeit unserer Kunden so wenig wie möglich in Anspruch zu nehmen. Dies gilt insbesondere für die Kapazitäten der IT-Abteilungen, die mit ihren vielfältigen Aufgaben meist schon am Anschlag arbeiten. Die Einführung unseres BI-Tools erfolgt idealerweise in drei Schritten. Im ersten Schritt werden die Anforderungen hinsichtlich Dashboards und Datenquellen festgelegt. Im zweiten Schritt erfolgt die Umsetzung auf Basis von exportierten ERP-Daten. Und im dritten Schritt, sofern gewünscht, ist die Umsetzung einer Live-Schnittstelle zwischen ERP und unserer Branchenplattform „steelsuite“ möglich. Hier orientieren wir uns weitestgehend an vorhandenen Standardschnittstellen. Abhängig vom Integrationsgrad dauert die Umsetzung insgesamt zwischen vier und zwölf Wochen.
Stahlreport: Wie ist der aktuelle der Stand der Dinge im Hinblick auf Ihre BI-Lösung und in welche Richtung soll es in Zukunft gehen?
Valentin Kaltenbach: Die aktuelle Basisversion der „BoosterBI“ umfasst etwa 30 Auswertungen aus den Bereichen Prozess- und Rüstzeiten, Anarbeitung, Lagerlogistik, Intralogistik und Vertrieb. Sowohl technische als auch kaufmännische Sichten lassen sich darstellen. Gerade eine Analyse aus unterschiedlichen Blickwinkeln bringt am Ende das beste Ergebnis und schafft die Basis für eine otpimale interdisziplinäre Zusammenarbeit im Unternehmen. Weitere Auswertungen werden noch folgen. Unsere BI-Lösung basiert auf der marktführenden Standardlösung „Qlik Sense“ der Firma Qlik. Mit Hilfe sogenannter No-Code-Tools können Kunden unsere Standardmodule um eigene Dashboards erweitern. Damit ist die Lösung umfassend und beliebig für alle Bereiche eines Unternehmens anpassbar.