Wie Digitalisierung den Stahlhandel stärkt

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Valentin Kaltenbach im Gespräch mit dem Fachmagazin stahlmarkt (Heft 9/2021):

Durch die Auswirkungen der Pandemie haben sich die Rahmenbedingungen im Stahlmarkt verändert. Bisher waren die Stahlhändler im Wesentlichen für ein effizientes Supply Chain Management sowie für die von den Kunden gewünschte Anarbeitung verantwortlich, jetzt müssen sie zusätzlich die Versorgungssicherheit gewährleisten. Damit sind nicht nur die Erwartungen an den Handel gestiegen, auch seine strategische Bedeutung als Bindeglied zwischen Stahlproduktion und Stahlverarbeitung wächst. Valentin Kaltenbach, CEO von KALTENBACH.SOLUTIONS, veranschaulicht die weiterhin steigende Bedeutung von Materialverfügbarkeit und Liefertreue und erklärt, wie Unternehmen des lagerhaltenden Stahlhandels gezielt Mehrwerte für ihre Kunden schaffen und damit die eigene Position im Markt ausbauen können.

stahlmarkt: Herr Kaltenbach, die Folgen der Corona-Pandemie wirken wie ein Katalysator auf den Stahlmarkt. Marktveränderungen kommen viel schneller als erwartet und Lücken in den Lieferketten werden sichtbar, die vorher nicht zu erkennen waren. Was bedeutet das für den Stahlmarkt im Allgemeinen und den Stahlhandel im Besonderen? 

In den zurückliegenden Dekaden war die Verfügbarkeit von Standardprodukten nur selten ein Thema. Wir waren daran gewöhnt, dass Stahlprodukte zu jeder Zeit in ausreichender Menge und Qualität zur Verfügung standen. Das hat sich geändert; heute ist die Verfügbarkeit ein strategischer Erfolgsfaktor.
Nicht umsonst spricht man vom lagerhaltenden Stahlhandel. Der Stahlverbrauch in Deutschland beträgt inzwischen nur noch rund 5 Prozent des weltweiten Verbrauchs und etwa 9,5 Prozent des chinesischen Jahresverbrauchs. Die Dominanz der chinesischen Marktwirtschaft mit einem Anteil von über 50 Prozent am Weltstahlverbrauch hat das Kräfteverhältnis verschoben.
Diese Zahlen zeigen, dass die Rolle Deutschlands im internationalen Vergleich einerseits und die Bedeutung der Versorgungssicherheit für das industrielle Wohlergehen in unserem Land andererseits weit auseinandergehen. Um eine Versorgungssicherheit auch in Zukunft zu gewährleisten, sind neue Lösungsansätze notwendig. Gelingt es jetzt, konstruktiv mit der beschriebenen Schieflage umzugehen, kann das die Rolle des lagerhaltenden Stahlhandels in Deutschland nachhaltig stärken.

stahlmarkt: Welche strategischen Fragen stellen sich die Kunden des Stahlhandels in der aktuellen Situation?

Auch die stahlverarbeitende Industrie wurde durch die Auswirkungen der Pandemie kräftig durchgeschüttelt. Absatzmärkte haben sich verschoben, Lieferketten sind instabil geworden und nicht zuletzt ist der Beschaffungspreis von Stahl in kürzester Zeit sprunghaft angestiegen. Die Veränderungen im Stahlmarkt und der Kostendruck zwingen die Kunden des Stahlhandels, bisherige Strategien auf
den Prüfstand zu stellen und sich wieder neu auszurichten.
Eine komplexe Frage, die sich Unternehmen aus den stahlverarbeitenden Branchen aktuell stellen, lautet
kurz formuliert: »Make or Buy?« Welche Aufgaben gehören zu den eigenen Kernkompetenzen und was kann extern bearbeitet werden? In den kommenden Monaten kann es verstärkt zu einer Verlagerung der Wertschöpfung kommen. Die fortschreitende Digitalisierung wird dazu führen, dass vorhandene Betriebsmittel wie Maschinen und Anlagen effizienter eingesetzt werden und der Bedarf an Neuinvestitionen dadurch sinken wird. Im Wesentlichen geht es jetzt darum, vorhandene Ressourcen effizienter einzusetzen oder sich ganz von ihnen zu trennen und auf »Buy« umzustellen.

stahlmarkt: Welche Chancen ergeben sich aus diesen Fragestellungen für den lagerhaltenden Stahlhandel?

In seiner Rolle des Versorgers mit Ausgangsmaterial steht der lagerhaltende Stahlhandel ganz am Anfang der Wertschöpfungskette seiner Kunden und hat damit eine geradezu ideale, herausgehobene Position. Würde der Stahlhandel Komponenten liefern, die zu einem späteren Zeitpunkt im Herstellungsprozess benötigt werden, wäre die Lage ungünstig. Die Chance für den Stahlhandel liegt jetzt darin, dass er sich immer mehr vom Lieferanten zum beständigen Systempartner weiterentwickeln kann. Im Grunde bedeutet das, sich auf die eigenen Stärken zu konzentrieren und Aufgaben, die man nur mittelmäßig bewältigen kann, anderen zu überlassen.
Das Prinzip der Professionalisierung und Spezialisierung ist durch Corona noch klarer geworden. Für die stahlverarbeitende Industrie könnte das bedeuten, einen Teil der unternehmerischen Risiken an den Stahlhandel abzugeben, um sich verstärkt auf eigene Kernaufgaben zu konzentrieren. Das Ergebnis ist eine noch engere, vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem lagerhaltenden Stahlhandel – mit großem Nutzen für beide Seiten. 

stahlmarkt: Welchen Beitrag kann die Digitalisierung leisten, damit der Stahlhandel seine wachsenden Aufgaben wirtschaftlich und grün umsetzen kann?

Seit Jahrtausenden entwickeln und nutzen Menschen neue Geräte, um ihre Aufgaben besser zu bewältigen. Digitalisierung im Stahlhandel bedeutet für mich, bereits in anderen Branchen bewährte digitale Tools sinnvoll in die Arbeitsweisen des Stahlhandels zu übertragen. Die heute existierenden technischen Lösungen wie das Internet der Dinge und die Künstliche Intelligenz sind mächtige und vielseitig verwendbare Instrumente, die unser Leben einfacher machen. Übertragen auf den Stahlhandel bedeutet das, bestehende Prozesse effizienter, besser und damit auch grüner zu gestalten. Die Performance wird in jeder Hinsicht gesteigert, man kann mit weniger Ressourcen deutlich mehr erzielen. Um in diesem Sinne nachhaltig zu wirken, braucht die Digitalisierung jedoch klar definierte und messbare Ziele, sie darf nicht zum Selbstzweck werden.
Als kundenorientierter Wertschöpfer zwischen Hersteller und Verarbeiter erfüllt der lagerhaltende Stahlhandel drei elementare Funktionen im Stahlmarkt: Er sorgt für die marktspezifische Materialbeschaffung und Lagerhaltung, realisiert die kundenspezifische Anarbeitung und sichert zusätzlich eine effiziente Logistik. In allen drei Kernbereichen gibt es eine Vielzahl von Einsatzmöglichkeiten für digitale Lösungen, die die Performance messbar steigern und die Nachhaltigkeit fördern. Ein komplexer Dienstleister mit hohem Standardisierungsgrad wie der Stahlhandel ist damit meiner Ansicht nach prädestiniert für den effizienten Einsatz digitaler Werkzeuge.

stahlmarkt: In welchen Arbeitsfeldern unterstützt die KALTENBACH.SOLUTIONS den Stahlhandel konkret mit ihren selbst entwickelten Lösungen beim Steigern der Performance durch Digitalisierung?

Ein Feld unserer Arbeit ist das Maschinen-Monitoring. Wir bilden sämtliche Prozesse rund um Maschinen und Anlagen digital ab. Unser Ziel ist es, die technische Maschinenverfügbarkeit zu steigern, Kosten zu senken und das Risiko für ungeplante Stillstände zu reduzieren. Im Bereich der Anarbeitung bieten wir dem Stahlhandel spezifische Lösungen für die Planung und Steuerung. Mithilfe von Werkzeugen aus dem Bereich der Künstlichen Intelligenz wird es möglich, den Planungs- und Steuerungsprozess in der Anarbeitung sehr präzise und realitätsnah zu gestalten und damit die Auslastung der Maschinen zu steigern.
Im Performance-Management zielen unsere Lösungen darauf ab, die Performance in der Anarbeitung und der Intralogistik nachhaltig zu steigern. Im ersten Schritt werden vorhandene Potenziale sichtbar gemacht, um daraus anschließend Handlungsoptionen abzuleiten. Für die Anarbeitung garantieren wir, dass ein Plus von mindestens 30 Prozent an noch nicht ausgeschöpften Potenzialen ermittelt werden kann. 
Eine weitere sinnvolle Einsatzmöglichkeit ist das Energy-Monitoring. Hier geht es darum, die Verbräuche von Maschine und Geräten präzise zu messen und transparent zu machen. Das ist eine Grundlage für die erfolg- reiche Umsetzung der Anforderungen aus der Norm DIN 50.001. In Kombination mit dem Performance-Management auf einer Plattform ergeben sich daraus wertvolle Synergie- Effekte für unsere Kunden.
Was das vielschichtige Thema »Make or Buy?« betrifft, bieten wir sowohl für Unternehmen der Stahlverarbeitung als auch für Stahlhändler digitale Werkzeuge an, mit deren Hilfe Transparenz über den Anarbeitungsumfang und den tatsächlichen Aufwand in der Anarbeitung geschaffen wird. Transparenz ist eine notwendige Voraussetzung, um diese strategische Fragestellung auf der Basis von objektiven Daten fundiert beantworten zu können. Damit schafft man eine Entscheidungsgrundlage dafür, welche Prozesse besser intern bearbeitet werden und welche Aufgaben an Externe vergeben werden.

stahlmarkt: Können Sie für den Bereich Performance-Management in der Anarbeitung ein Beispiel aus der Praxis nennen?

Als Beispiel möchte ich kurz unseren Einsatz für die Carl Spaeter GmbH Hamburg beschreiben. Der Geschäftsführung des Unternehmens ging es darum, die steigenden Anforderungen ihrer Kunden nach Liefer- termintreue und Materialverfügbarkeit optimal zu erfüllen. In diesem Projekt haben wir zunächst unsere Messgeräte an den Sägeanlagen vor Ort angebracht und die Betriebszustände gemessen. Daraus wurden signifikante Kennzahlen ermittelt, unter anderem die Anzahl der Schnitte pro Schicht. Sie sind die Grundlage für eine effizientere und produktivere Planung und Steuerung.
Zunächst konzentrierten wir uns auf die Bereiche mit hoher strategischer Bedeutung für den Standort, das waren in diesem Fall anstehende Veränderungen und Engpass-Situationen. Wir haben uns dann für eine Fokussierung auf den Trägerzuschnitt mit Kreissägen entschieden. Alle Kernprozesse rund um die Sägen – von der Arbeitsvorbereitung über Planung und Steuerung bis hin zum Verpacken – wurden beleuchtet. Die Themen Bereitstellen und Sägen spielten natürlich eine zentrale Rolle. Dieses Projekt lief inklusive Vorbereitung über acht Wochen parallel zum laufenden Betrieb, sodass alle gewonnen Erkenntnisse direkt in die praktische Arbeit einfließen konnten. Die erzielte Performance-Steigerung lag bei 15 Prozent, an einigen Tagen sogar bei bis zu 50 Prozent.

stahlmarkt: Wie kann man sich die Unterstützung im Bereich Maschinen-Monitoring konkret vorstellen?

Unser Auftrag für den Stahlgroßhändler F. Hackländer GmbH in Kassel ist ein gutes Beispiel dafür. Dort musste die Betriebs- und Schichtleitung früher Informationen zum aktuellen Zustand der Maschinen und Anlagen einzeln einsammeln. Heute reicht ein Blick auf das Steel-Suite-Cockpit. Die Steel-Suite sammelt alle relevanten Daten direkt an den Maschinen auf der Basis von Echtzeitmessungen. Die Software aggregiert dann die gemessenen Daten und stellt sie als einfache Grafiken dar. Dadurch ist sofort erkennbar, ob und an welchen Betriebsmitteln Stillstände oder Störungen vorliegen. Bei F. Hackländer haben sich durch das Maschinen-Monitoring die Reaktionszeiten deutlich verkürzt, und alle Arbeitsbereiche verfügen heute über den gleichen Wissensstand. Die Verfügbarkeit der technischen Betriebsmittel konnte um 10 Prozent gesteigert werden.

stahlmarkt: Welche Werkzeuge stellen Sie zur Verfügung, wenn es um die Frage »Interne Anarbeitung oder Outsourcing« – also »Make or Buy« – geht?

Die Frage »Make or Buy?« hat eine strategische und eine operative Komponente. Für den operativen Teil haben wir eine Art Schnell-Check entwickelt. Mithilfe des sogenannten »Booster-Piloten« wird in einem Zeitraum von fünf Wochen die tatsächliche Effizienz der Anarbeitung vor Ort objektiv gemessen. Aus den Daten lässt sich anschließend das zu hebende Steigerungspotenzial und eine Kosten-Nutzen-Rechnung erstellen. Darüber hinaus werden die Messdaten als Grundlage für die Anfrage bei potenziellen externen Dienstleistern genutzt. Aus dem Vergleich der internen Kosten-Nutzen-Betrachtung und den Angeboten möglicher Dienstleister erfolgt dann der Benchmark. 

stahlmarkt: Kürzlich hat die KALTENBACH.SO- LUTIONS den KI-Innovationswettbewerb Baden-Württemberg gewonnen. Welche Bedeutung messen Sie der Künstlichen Intelligenz zur Bewältigung der aktuellen Herausforderungen bei?

Ich sehe die Bedeutung ganz ähnlich wie das Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus in Baden-Württemberg, das gezielt auf Schlüsseltechnologien wie die Künstliche Intelligenz setzt und bereits in der dritten Runde des Wettbewerbs ambitionierte einzelbetriebliche KI-Vorhaben im Mittelstand mit insgesamt 7,5 Millionen Euro unterstützt.
Derzeit wird unser aktuelles Projekt »KI/iIoT-basiertes Performance- Management in der Produktion im Stahlmarkt« gefördert. Unterstützt durch den Einsatz Künstlicher Intelligenz messen wir die Performance von Maschinen unter Einbeziehung des gesamten Maschinenumfelds und bilden sie übersichtlich ab. Aus den Ergebnissen lassen sich passende unternehmensspezifische Entscheidungen ableiten. Das übergeordnete Ziel des Vorhabens ist der effiziente, ökologische und wirtschaftliche Einsatz von Ressourcen in den Unternehmen der Stahlbearbeitung und Stahlverarbeitung. 

stahlmarkt: Eine abschließende Frage: Wann werden die ersten Stahlhändler die Planung und Steuerung ihrer Anarbeitung mithilfe Künstlicher Intelligenz aus dem Hause KALTENBACH.SOLUTIONS optimieren?

Das wird im ersten Quartal 2022 soweit sein. Wir rechnen damit, maschinenspezifische Prozess- und Rüstzeitkataloge zum Einsatz zu bringen, die durch den Einsatz Künstlicher Intelligenz auf der Basis von Messdaten erzeugt wurden. Momentan arbeiten wir mit Hochdruck an neuen Softwaremodulen und den dafür benötigten Benutzeroberflächen und Schnittstellen. Parallel sammeln wir bei ausgewählten Kunden relevante Daten in großem Umfang. Damit füttern wir die Künstliche Intelligenz und schaffen so ein spezifisches Abbild der Abarbeitung in den Unternehmen. Neben den Algorithmen sind qualitativ hochwertige Daten in ausreichender Menge ein wichtiger Schlüssel zum Erfolg für die Anwender.

stahlmarkt: Vielen Dank für das Interview.