Die Pandemie beschleunigt Entwicklungen
Die Corona-Pandemie ist ein Paradebespiel für ein unvorhergesehenes Ereignis, durch das sich die Rahmenbedingungen schlagartig geändert haben. Mehr als sonst waren Flexibilität und Offenheit für neue Wege gefragt. In vielen Bereichen haben sich digitale Lösungen als geeignetes Instrument herausgestellt, einige Pandemiefolgen zu managen. Da kam der diesmal online durchgeführte BDS-DigiDay mit seinem Überblick über digitale Lösungen für den Stahlhandel genau recht. Welches Potenzial digitale Anwendungen für die Branche bieten, erläutert DigiDay-Referent Valentin Kaltenbach, Inhaber und Geschäftsführer der Kaltenbach.Solutions GmbH, im Gespräch mit dem Stahlreport.
Stahlreport: Herr Kaltenbach, Sie waren schon Referent beim BDS- DigiDay 2019. Welche Veränderungen haben Sie seitdem in der Branche festgestellt und woran machen Sie diese fest?
Valentin Kaltenbach: 2019 war die Digitalisierung der Kunden/Lieferanten-Beziehung ein Schwerpunkt. Plattformen, Marktplätze und Vertriebskanäle standen im Fokus. Seitdem sind viele Unternehmen den Weg der marktseitigen Digitalisierung gegangen und haben Erfahrungen gesammelt. Heute richtet sich der Blick auf die ganze Wertschöpfungskette bis hin zu den innerbetrieblichen Prozessen. Dazu gehört die Digitalisierung der Abläufe in der Arbeitsvorbereitung, die optimale Anbindung von Maschinenparks und ein gezieltes Performance-Management. Aktuell geht es im Stahlhandel darum, mit Hilfe digitaler Werkzeuge die Liefertermintreue zu steigern, Lieferzeiten zu verkürzen und vorhandene Ressourcen besser zu nutzen.
Stahlreport: Was hat Ihnen an der Neuauflage des DigiDay im Januar 2021 besonders gut gefallen?
Valentin Kaltenbach: Bemerkenswert war, dass der BDS ein ganz neues Format gewählt und so professionell wie kurzweilig umgesetzt hat. Die große Zahl an Teilnehmern zeigt, dass die Branche den digitalen Kommunikationsmöglichkeiten offen gegenübersteht. Für mich war es zunächst eine echte Herausforderung, meinen Vortrag wie gewünscht auf 15 Minuten zu beschränken. Das hatte den positiven Effekt, dass ich mich auf den Kern unserer Strategie konzentrieren musste. Die Zuschauer konnten sich jederzeit nach ihren Interessen zuschalten und den bestmöglichen Nutzen aus dem digitalen Treffen ziehen.
Stahlreport: Werfen wir einen Blick in die Zukunft: Wie wird sich der Stahlhandel im Bereich Lager/Logistik durch die Digitalisierung weiter verändern? Welche Auswirkungen hat die Pandemie?
Valentin Kaltenbach: Mit unseren Lösungen können wir relevante Daten im laufenden Betrieb messen, abbilden und bewerten. Es wird deutlich, dass zum Beispiel die Maschinenparks in der Anarbeitung ihre Leistungsmöglichkeiten längst nicht ausgeschöpft haben. Bei Stundensätzen von 60 bis 150 € sehen wir in diesem Bereich realistische Steigerungsmöglichkeiten von 30 % und mehr. Wo liegen die wahren Ursachen für die Minderauslastung? Um Antworten zu finden und Potentiale zu heben, müssen wir die Intralogistik genauer betrachten, denn die eigentliche Bearbeitung ist nur ein kleiner Teil der gesamten Prozesskette. Mit Industrie 4.0 und dem Internet der Dinge stehen uns Instrumente zur Verfügung, die komplexe Abläufe transparent machen und neue Perspektiven eröffnen. Die Pandemie wirkt wie ein Katalysator – sie beschleunigt neue Entwicklungen.
Stahlreport: Digitalisierung ist am Ende das Anwenden digitaler Werkzeuge durch den Menschen. Was kann man tun, damit diese Werkzeuge angenommen werden und den gewünschten Erfolg bringen?
Valentin Kaltenbach: Im Idealfall passen Mensch und Werkzeug harmonisch zueinander. Im Alltag brauchen wir Instrumente, die unkompliziert einsetzbar sind und mit weniger Stress zu besseren Ergebnissen führen. Einige Mitar- beiter in den Betrieben fürchten, dass die Digitalisierung vor allem Personalkosten senken soll und Arbeitsplätze gefährdet. Uns ist es wichtig, solche Bedenken zu entkräften, indem wir die Anwender vor Ort vom praktischen Nutzen der digitalen Tools für ihre tägliche Arbeit überzeugen. Dann können digitale Werkzeuge sogar ein Gefühl von Sicherheit vermitteln.
Stahlreport: Der Einfluss von Plattformen wie Amazon wird im Zusammenhang mit der digitalen Transformation kontrovers diskutiert. Wo liegen Ihrer Meinung nach die Chancen für den Stahlmarkt?
Valentin Kaltenbach: Exponentiell wachsende Unternehmen haben alle etwas gemeinsam: Sie verschmelzen auf meisterliche Art mindestens zwei Kernstrategien, die vor ihnen noch niemand in dieser Form zusammengefügt hat. Amazon ermöglicht den Nutzern ein ganz persönliches Shoppingerlebnis zu jeder Zeit an jedem Ort. Dazu kommt eine fast reibungslos ablaufende logistische Kette hinter den Kulissen, die Vertrauen schafft. Die Plattform befriedigt damit die Lust auf Neues genauso wie das Bedürfnis nach Sicherheit. Auch die Kunden der Stahlbranche wünschen sich eine hohe Verfügbarkeit, verlässliche Lieferungen und individuell anpassbare Dienstleistungen. Ich behaupte, dass professionelles Supply Chain Management und spezifische Serviceangebote für den Stahl-markt wichtiger sind, als die Frage nach analoger oder digitaler Kundenkommunikation. Warum nicht beide Kanäle anbieten und den Kunden entscheiden lassen?
Stahlreport: Was ist aus Ihrer Sicht die große Stärke des lagerhaltenden Stahlhandels und wie kann er diese weiter ausbauen?
Valentin Kaltenbach: Der lagerhaltende Stahlhandel hat sich in der Vergangenheit auch durch ein stetig ausgebautes Angebot an Dienstleistungen als eine verlässliche Säule innerhalb der gesamten Lieferkette der Branche etabliert. Meiner Meinung nach ist der erweiterte Blick auf die Intra- und Extralogistik der Schlüssel zu beständigem Erfolg. Professionelles Supply Chain Management und Dienstleistungen in Form von Anarbeitung können in Zukunft miteinander verschmelzen. Für die Umsetzung dieser Vision werden digitale Lösungen in Form von iIoT, Industrie 4.0 und KI wertvolle Helfer sein.
Stahlreport: Sehr geehrter Herr Kaltenbach, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.