Digitalisierung und Künstliche Intelligenz verändert die Unternehmensführung

Digitalisierung und Künstliche Intelligenz verändert die Unternehmensführung

Arnt Hannewald, Redakteur bei STAHL + TECHNIK, sprach mit Valentin Kaltenbach, Geschäftsführender Gesellschafter der KALTENBACH.SOLUTIONS GmbH, über Instrumente, mit denen die Unternehmensführung dank der Digitalisierung heute richtige Entscheidungen schnell treffen kann.

STAHL + TECHNIK: Unter dem Überbegriff Industrie 4.0 werden die Themen Digitalisierung, WorldWideWeb, Internet der Dinge und Künstliche Intelligenz als die großen gesellschaftlichen Veränderungen unserer Zeit zusammengefasst. Wie bedeutend sind diese Technologien für den Stahlmarkt?

Valentin Kaltenbach: Ich sehe Industrie 4.0 als einen Baukasten, der ganz neuartige Werkzeuge enthält. Diese werden nützlich, wenn ich sie für meine Bedürfnisse einsetzen kann. Spannend finde ich das Zusammenspiel von Mensch und Arbeitsgeräten. Die Werkzeuge von Industrie 4.0 sind auf mehreren Ebenen bedeutend. Zunächst ermöglichen sie ein schnelles Wahrnehmen, Analysieren und Handeln. Durch das Internet hat theoretisch jeder Mensch an jedem Ort und zu jeder Zeit den gleichen Zugriff auf objektiv gemessene Erkenntnisse. Die neuen Tools erlauben schon heute die präzise Herstellung von individualisierten Produkten in großen Mengen zu geringen Kosten. Und die Künstliche Intelligenz hört nicht auf, zu lernen. KI bündelt permanent die bereits gemachten Erfahrungen aller Nutzer; es werden immer bessere Ergebnisse in immer kürzerer Zeit erzielt. Der Stahlmarkt wird damit die große Herausforderung bewältigen, grün und wirtschaftlich zu agieren.

STAHL + TECHNIK: Was haben die bisherigen industriellen Revolutionen gemeinsam, was haben sie uns gebracht?

Valentin Kaltenbach: Im Rückblick auf die vergangenen drei großen industriellen Revolutionen fällt eine Gemeinsamkeit auf: Der industrielle Wertschöpfungsprozess wurde immer wieder neu erfunden. Mit jedem revolutionären Schritt im Produktionsbereich gingen auch verbesserte Lebensbedingungen, wachsender Wohlstand und neue Chancen auf ein selbstbestimmteres Leben für einen Großteil der Menschheit einher. Ich glaube, dass wir heute mit Industrie 4.0 eine realistische Chance haben, unser Leben und die Zukunft unseres Planeten lebenswerter und kreativer zu gestalten.

STAHL + TECHNIK: Worin unterscheidet sich Industrie 4.0 von den vorherigen industriellen Revolutionen?

Valentin Kaltenbach: Die erste industrielle Revolution hat erreicht, dass körperlich schwere Tätigkeiten, die zuvor von Menschen und Tieren bewältigt werden mussten, mit Hilfe von Wasser und Dampf erleichtert wurden. Die zweite industrielle Revolution veränderte die Organisation von Arbeit grund- legend. Eine Unterteilung in einfache Prozesse und Arbeitsschritte erlaubte es, mehr Produkte in kürzerer Zeit zu erschwinglichen Preisen herzustellen. Mit der Einführung von Robotern und Computern ist seit der dritten industriellen Revolution eine differenzierte Massenproduktion möglich. Alle diese Veränderungen erfolgten zwar sprunghaft, bauten aber logisch aufeinander auf. Ein bestehender Vorgang wurde verbessert, ein altes Arbeitsmittel durch ein neues ersetzt. Industrie 4.0 setzt hingegen im Kern an, dort wo Entscheidungen getroffen und umgesetzt werden. Damit entsteht der Wandel fortlaufend durch die Summe aller getroffenen Entscheidungen. Die Geschwindigkeit der Entwicklung nimmt mit der Anzahl und der Qualität der Entscheidungen pro Zeiteinheit permanent zu. Das macht die Werkzeuge von Industrie 4.0 mächtiger als alles, was wir bisher kennen. Aus meiner Sicht wird Industrie 4.0 das Erbringen von geistiger Leistung total verwandeln: ausgehend vom Menschen hin zur Unterstützung durch intelligente und reproduzierbare technische Systeme.

STAHL + TECHNIK: Schauen wir uns die Anarbeitung im Stahlhandel bzw. die Stahlbearbeitung beim Verarbeiter an: Was kann Industrie 4.0 hier bewirken?

Valentin Kaltenbach: Für den Bereich der An- und Bearbeitung hat die KALTENBACH.SOLUTIONS eine General-Strategie in vier Schritten entwickelt: Messen, Modulieren, Entscheiden und Umsetzen. Unser Grundverständnis ist es, dass die Maschinen- Performance genau anzeigt, wie die Organisation, die Menschen und die Prozesse ursächlich zusammenwirken. Zuerst nutzen wir daher unsere boosterBOXen, um Ursachen und Wirkung objektiv zu messen. Im zweiten Schritt werden mit Hilfe von KI die Performance-Potentiale und die Handlungsoptionen moduliert. Aus diesen Möglichkeiten wählt das Team vor Ort dann Handlungsschritte aus und beginnt mit der Umsetzung. Danach steht wieder das Messen an und der Kreislauf beginnt von vorne. Durch das mehrmalige Durchlaufen dieser Schritte wird die Performance nachhaltig gesteigert.

STAHL + TECHNIK: Wieso führt diese Arbeitsweise schnell und einfach zu besseren Ergebnissen?

Valentin Kaltenbach: Die modulierten Handlungsoptionen beruhen auf IoT-basierten Messdaten und bleiben damit unabhängig von Menschen und deren emotionaler Beeinflussbarkeit. Man erreicht so eine noch nie dagewesene Objektivität. Nach der getroffenen Entscheidung und deren Durchführung wird erneut gemessen. Jetzt ist der Grad der Umsetzung sichtbar und es kann nachgeschärft werden. Dadurch entsteht ein logisches, lernendes System, das Stabilität und Sicherheit gibt. Die Komplexität der Zusammenhänge reduziert sich auf ein gut handhabbares Maß. Die Beziehungen zwischen Ursache und Wirkung werden deutlich und im Team umsetzbar. Diese Arbeitsweise erhöht das Gefühl von Selbstwirksamkeit, denn die Mitarbeiter sind aktiv Beteiligte statt nur Ausführende.

STAHL + TECHNIK: Was bedeutet das für die strategische Positionierung von Unternehmen?

Valentin Kaltenbach: Ich vergleiche unseren Ansatz gerne mit dem Einsatz von Navigations-Systemen im Auto. Bevor es GPS-Geräte für alle gab, benötigte ein Fahrer entweder Ortskenntnisse oder einen guten Beifahrer mit der Fähigkeit, Straßenkarten zu lesen, um ohne Umwege von A nach B zu kommen. Heute braucht ein Autofahrer die Fähigkeit, durch einen Blick auf das Navi die richtigen Entscheidungen zu treffen. Ganz ähnlich ist es in der Unternehmensführung. Die Kompetenz im Umgang mit digitalen und KI-basierten Systemen wird zu einem strategischen Erfolgsfaktor. Mit Hilfe der neu- en Werkzeuge können die Unternehmen lernende Systeme aufbauen und auf dieser objektiven Basis schneller bessere Entscheidungen treffen.

STAHL + TECHNIK: Wie wichtig sind Fachwissen und Erfahrung in diesem Kontext und Welche Kompetenzen werden für Unternehmen und Mitarbeiter zukünftig relevant sein?

Valentin Kaltenbach: In einigen Industriezweigen nimmt die strategische Bedeutung von Fach- wissen sicher zu, vor allem wenn es um das Entwickeln von Innovationen geht. In vielen Branchen, in denen bereits vorhandenes Wissen angewendet wird, verdrängt die Kompetenz des Lernens und des folgerichtigen Tuns die strategische Bedeutung von Expertenwissen. Lernen bedeutet in diesem Kontext logisches Handeln und ist mit dem Umsetzen von Erkenntnissen gleichzusetzen. Organisationen, die beständiges Lernen fördern und einfordern, sind hier im Vor-teil. Entscheidend für die Auswahl der Mitarbeiter wird ihre Bereitschaft, sich selbst zu führen und selbstständig zu lernen – weniger das einmal erworbene Fachwissen oder die bisherige Berufserfahrung.

STAHL + TECHNIK: Eine abschießende Frage: Welche Rolle hat der Rohstoff Stahl in unserer grüner werdenden Welt?

Valentin Kaltenbach: Sachlich betrachtet ist Stahl das einzige Material, das zu 100 % wiederverwertet werden kann und durch die Weiterverarbeitung an Wert gewinnt. Stahl bleibt der unentbehrliche Rohstoff für unsere moderne Mobilität, für die digitale Kommunikation, die Urbanisierung und die Automatisierung – und das Potential ist noch lange nicht ausgeschöpft. Gegenwärtig ist die Renaissance des Stahls in vollem Gange. Politik und Gesellschaft haben entschieden, dass die Produktion weltweit grüner werden muss. Alle Unternehmen der Stahlbranche, die auch in Zukunft eine Rolle auf dem Welt- markt spielen wollen, müssen sich diesem Wunsch anpassen. Gleichzeitig ist es notwendig, die Wirtschaftlichkeit der Herstellung, der Verarbeitung und der Logistik des Stahls zu gewährleisten. Diesen Spagat kann die Stahlbranche mit Unterstützung durch die Digitalisierung und die Künstliche Intelligenz erfolgreich bewältigen.

STAHL + TECHNIK: Vielen Dank für das Interview.