Digitalisierung - auf den Stahlhandel zugeschnitten

Um den aktuellen Bearbeitungsstand aller Bestellungen im Blechlager transparent zu machen, hat Ancofer die digitale Branchenlösung »Order Manager« von Kaltenbach Solutions eingeführt. Damit ist es dem Unternehmen möglich, Aufträge auf ihrem Weg durch die gesamte Prozesskette zu verfolgen. Vor dem Hintergrund der derzeitigen Herausforderungen im Stahlhandel erklären GF Joost van Dijk und Philipp Maihorn  (Schichtführer Arbeitsvorbereitung) im Gespräch mit dem Fachmagazin “Stahlmarkt”, wie die neue Technik den eigenen Betrieb optimieren konnte.

Herr van Dijk, wie ist aus Ihrer Sicht die aktuelle Marktlage für den lagerhaltenden Stahlhandel? Und wo liegen die großen Herausforderungen für die Branche?

 Joost van Dijk:
Die Marktlage im lagerhaltenden Stahlhandel hat sich gerade in den letzten Jahren durch COVID-19 und den Kriegsausbruch in der Ukraine dynamisch verändert und die Marktbewegungen sind weiterhin sehr volatil. Instabile Rohstoffpreise, hohe Energiekosten und viele zusätzliche Faktoren begünstigen die starken Schwankungen. Der Stahlhandel ist ein wettbewerbsintensiver Markt; der Preisdruck war schon immer sehr hoch. Heute müssen wir neben qualitativ hochwertigen Produkten auch effiziente Logistiklösungen anbieten sowie guten Kundenservice gewährleisten, um uns von der Konkurrenz abzuheben. Hinzu kommt der wachsende Druck durch kostengünstige Importe. Zusätzlich wird von der Stahlindustrie das Implementieren umweltfreundlicher Praktiken und das Erreichen ambitionierter Nachhaltigkeitsziele gefordert. Die Unternehmen der Branche müssen sich jetzt der Tatsache stellen, dass es notwendig ist, in umweltschonende Technologien und Prozesse zu investieren, um auch in Zukunft wettbewerbsfähig zu bleiben und die Anforderungen der Kunden zu erfüllen. Dem lagerhaltenden Stahlhandel würde es sehr helfen, wenn der Staat sich in der Pflicht sähe, schnellstmöglich angemessene politische Rahmenbedingungen zu schaffen und sichere Rahmenbedingungen zu schaffen.
 

Zwei der drückendsten Probleme in der Branche sind der grassierende Fachkräftemangel und volatile Energiepreise. Welche Rolle spielen diese Themen aktuell in Ihrem Unternehmen?

van Dijk:
Wir als Unternehmen spüren unmittelbar, was derzeit auf dem Arbeitsmarkt los ist. Spezialisierte Mitarbeiter beispielsweise für den IT- Bereich werden aktuell gefühlt von jeder zweiten Firma gesucht. Dazu kommt, dass gerade im gewerblichen Bereich das Durchschnittsalter der Beschäftigten recht hoch ist. Gelingt es nicht, qualifizierte Mitarbeiter zu gewinnen, führt das zwangsläufig zu Schwierigkeiten beim Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit. Alle Unternehmen werden in den nächsten Jahren viel tun müssen, um als Arbeitgeber attraktiv zu bleiben. Daran arbeiten wir.

Die schwankenden Energiepreise beeinflussen unsere Kostenseite stark. Schon seit mehreren Jahren betreiben wir ein zertifiziertes Energiemanagementsystem nach der Norm DIN EN ISO 50001 und unterstützten damit den Klimaschutz. Ein Garant für ein erfolgreiches Senken der Kosten ist aus meiner Sicht die Umsetzung von Energiesparmaßnahmen. Aktuell haben wir zum Beispiel drei Hallenschiffe von HQIE- auf LED-Beleuchtung umgerüstet. Allein durch diese Maßnahme reduziert sich der jährliche Stromverbrauch um 60 000 KWh. Weitere Umrüstungen sind geplant.

Wie stark nehmen Sie momentan die Nachfrage nach grünem Stahl wahr? Wie wird sich der Bedarf in den nächsten drei Jahren Ihrer Meinung nach entwickeln?

van Dijk:
Aktuell haben wir noch keine unmittelbare Nachfrage nach grünem Stahl. Aber wir verfolgen jeden Tag in der Presse, welche großen Anstrengungen unternommen werden, um jetzt die Weichen für die Zukunft zu stellen. Erste Rückfragen unserer Kunden zum Umsetzungsgrad bei den Produzenten haben wir schon erhalten. Daran merken wir, dass auch Teile unserer Kundschaft damit beginnen, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Mit Pure Steel+ hat die SHS-Gruppe (Dillinger und Saarstahl) ihren Weg für die Produktion von CO2-reduziertem grünem Stahl klar definiert und treibt die Energiewende voran. Ich gehe davon aus, dass der grüne Stahl mit der Zeit immer mehr Unternehmen beschäftigen und die Nachfrage auch den lagerhaltenden Handel betreffen wird. Wie die Entwicklung in den nächsten drei Jahren verläuft, hängt vom konkreten Angebot ab, das dann zur Verfügung steht. Dieser Markt befindet sich am Startpunkt; die Transformation ist nicht einfach und braucht Zeit.

Die Digitalisierung spielt dieser Transformation in die Karten: Bei Ancofer suchten Sie jüngst nach einer Lösung für die Auftragssteuerung auf Shopfloor-Ebene. Was hat Sie dazu bewogen?

van Dijk:
Kurz zusammengefasst ging es uns darum, eine Effizienzsteigerung, ein Verkürzen der Lieferzeiten, eine Verbesserung der Liefertreue und weniger manuellen Aufwand zu erreichen. Gerade das Thema Liefertreue ist unsere Stärke; hier waren wir bereits sehr gut und wollen unseren hohen Standard weiter ausbauen. Zudem wurde es notwendig, die Abbildung der Planung und Steuerung von Handelsaufträgen über eine vollständig manuell gepflegten Excel-Liste, durch eine digitale Lösung mit integrierter SAP-Schnittstelle zu ersetzen. Seit einigen Jahren waren wir auf der Suche nach passender Unterstützung bei der Einführung eines neuen MES-Planungs- und Auftragsverfolgungssystems, um alle Aufträge im Blick zu haben und Rückmeldungen zu einzelnen Arbeitsschritten zu erhalten.

Für ein entsprechendes Projekt setzen Sie auf den IT-Spezialisten Kaltenbach Solutions. Wie kam es dazu? Und was Sie an dessen Herangehensweise überzeugt?

van Dijk:
Überzeugend war für uns neben der tiefen Expertise in der Stahlbranche auch die Zuverlässigkeit und die strukturierte Vorgehensweise des Unternehmens. Herr Kaltenbach hatte von Beginn an Verständnis für unsere internen Abläufe und konnte das MES-System kompetent erklären.
Kaltenbach Solutions kommt aus unserer Branche und kennt unsere Arbeitsprozesse. Insgesamt haben wir weniger Zeit als erwartet gebraucht, um das System erfolgreich zu installieren. Positiv waren die kurzen Antwortzeiten und die schnelle Hilfe bei Fragen oder Problemen. Alle Beteiligten haben ihre Energie konsequent in das Projekt gesteckt, wodurch in kurzer Zeit sehr gute Ergebnisse erzielt wurden. In der Vergangenheit haben wir diesbezüglich weniger gute Erfahrungen gemacht. 

Wie arbeiten Sie konkret mit der digitalen Lösung?

van Dijk:
Wir nutzen die digitale Lösung für die tägliche Planung und Steuerung der Handelsaufträge. Alle Auftragsdaten aus dem SAP-System werden über eine Schnittstelle automatisch übertragen. Die Freigabe der Aufträge erfolgt durch die Arbeitsvorbereitung. Das System überwacht den Auftragsstatus und gibt in Echtzeit Rückmeldung zu Prozessschritten.  

Und wie kommt das bei den Mitarbeitern an?

Maihorn:
Man
schätzt in der täglichen Arbeit vor allem die einfache, intuitive Bedienung, die stabile und zuverlässige Performance, das ansprechende Design und die flexible Anpassbarkeit an die Bedingungen vor Ort. Die Implementierung erfolgte rasch, unsere Wünsche wurden aufgenommen und man spürte gleich, dass die Lösung auf den Stahlhandel zugeschnitten ist. Die Mitarbeiter erkennen den Mehrwert und arbeiten wunderbar mit der Lösung. Falls sie doch mal eine Eingabe im System vergessen, was immer wieder vorkommt, können sie einzelne Schritte auch manuell zurückmelden. Die Schichtleitung kann schnell reagieren, Anpassungen flexibel vornehmen und Masken oder Rollen nach Bedarf selbstständig ändern. 

Wie sind Sie bei der Einführung der digitalen Lösung in Ihrem Unternehmen vorgegangen?

Maihorn:
Seit über drei Monaten arbeiten wir nun mit dem Modul »Order Manager«. Am 22. Februar wurde eine erste Gruppe von Mitarbeitern durch die Schichtführung in nur einem Tag an das System herangeführt; danach ging es schnell weiter mit »Learning by Doing«.
Die neue Arbeitsweise wurde zügig übernommen und die Lösung von Anfang an regelmäßig genutzt. Positiv war vor allem die intuitive Bedienbarkeit. Das macht es auch für unsere Leihmitarbeiter, die nicht alle deutsche Muttersprachler sind, einfacher, Aufträge zu verstehen. Ein Nachlesen von Details ist in vielen Fällen nicht mehr notwendig.

Was läuft jetzt anders als vorher?

Maihorn:
Die Kommunikation im Team ist deutlich schneller und faktenbasierter geworden und die Mitarbeiter fühlen sich kompetenter. Da jeder selbstständig auf relevante Daten zugreifen kann, braucht es insgesamt weniger und kürzere tägliche Absprachen. Vor allem zwischen der Arbeitsvorbereitung und dem Lager haben wir eine deutliche Ersparnis an Arbeitszeit bemerkt. Die Lagerarbeiter nehmen das neue System gut an, weil es ihre Arbeit erleichtert. Die Kommissionierung ist jetzt ohne Wartezeiten möglich. Sobald Abmessungen und Güte auf dem Handheld sichtbar werden, können die Mitarbeiter loslegen. Dadurch erledigen sie Aufträge zügiger als bisher. Papier gibt es trotzdem noch, da jeder Auftrag viele Details enthält. Es wäre ein Wunsch für die Zukunft, auch hier weniger schriftlich festzuhalten. Bei uns fallen häufig Auftragsänderungen oder Nachträge durch den Kunden an. Und wenn ein Auftrag während der Bearbeitung geändert wird, verzögert das immer noch etwas den Ablauf. Über das Terminal informieren wir sofort den Lagermitarbeiter, der Auftrag wird digital gesperrt und wir planen neu. Auch das geht jetzt schneller als früher.

Für den Versand gilt, dass die Touren besser abgestimmt und geplant werden können, weil mit Vorlauf zu sehen ist, was demnächst fertig wird. Auch von Seiten des Vertriebs wird inzwischen gerne im System nachgeschaut, um Kundenanfragen präzise zu beantworten. Die Informationslücken sind hier kleiner oder fast geschlossen worden.

Welche konkreten Ziele haben Sie mit dem Einsatz des Moduls »Order Manager« verfolgt? Und in welchem Umfang konnten diese erreicht werden?

van Dijk:
Gesucht haben wir nach einer browserbasierten On-Premise-Lösung. Eine Anforderung war eine monodirektionale Schnittstelle zur Übertragung der Daten aus SAP. Wir wollten einen transparenten Shopfloor-Manager implementieren, der alle Aufträge überwachen und verwalten kann und so die Fehlerquote minimiert. Rund 90% der sichtbar gewordenen Daten stimmen heute mit der Realität überein und wir hatten bisher keine Fehler bei Aufträgen. Unsere Mitarbeiter sollten zudem jederzeit Hilfestellungen in Echtzeit bekommen. Wichtig war uns auch die Rückmeldung von Arbeitsschritten, eine intuitive Bedienbarkeit, eine flexible Anwendung und eine kurzfristig einsetzbare Lösung. Alle diese Ziele haben wir erreicht und vertrauen dem neuen System.

Zusätzlich sparen wir in der Arbeitsvorbereitung und -Steuerung etwa 30% der Arbeitszeit ein. Diese Zeit wird jetzt für strategische Aufgaben genutzt. Außerdem erfolgt das Kommissionieren schneller, da Auftragspositionen bereits vor der Herausgabe in Papierform als digitale Version im Order Manger erscheinen. Langfristig wünschen wir uns ein völlig papierloses Arbeiten, eine bidirektionale Schnittstelle und den Verzicht auf Excel-Dateien. Derzeit brauchen wir Excel noch für das Erstellen der monatlichen Statistiken zur Ermittlung der Liefertreue.

Über Ancofer
Die Ancofer Stahlhandel GmbH aus Mülheim an der Ruhr ist Spezialist für Grobbleche und Brennteile und ein Tochterunternehmen des Grobblechproduzenten Dillinger. Als Spezialist deckt Ancofer ein breites Spektrum an Qualitäten und Abmessungen ab und verfügt zusammen mit den Schwesterunternehmen Jebens GmbH in Stuttgart und AncoferWaldram Steelplates B.V. in den Niederlanden über einen Lagerbestand von mehr als 150 000 Tonnen an Grobblechen. Durch die kontinuierliche Verfügbarkeit von Qualitätsblechen zählt Ancofer zu den führenden Vollsortimentern in Deutschland. Geliefert werden neben den »normalen« Baustahlqualitäten auch Spezialstähle: von Druckbehälterstählen über hoch- und verschleißfeste Stähle wie »Dillimax« und »Dillidur« bis hin zu thermomechanisch gewalzten Stählen für Offshore, Stahlbau und Schiffsbau. Zudem verfügt das Unternehmen über einen eigenen Brennbetrieb mit einer Produktionsfläche von circa 10 000 Quadratmeter und mehreren Autogen- und Plasma-Schneidanlagen mit einer Spurweite von 10.500 mm. Damit gehört Ancofer zu den größten und leistungsfähigsten Service Centern in Deutschland.

Im Bild von links nach rechts zu sehen: Joost van Dijk, Valentin Kaltenbach und Pihipp Maihorn bei Ancofer am Standort Mülheim. 

Das Interview ist in Heft 7/23 des Fachmagazins “Stahlmarkt” erschienen.